Beispielhafte Antragsdiskussion

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Paula ist Mitglied im Kreisverband Alexandra-Kollontai-Stadt. Als Mitglied wird sie zur Mitgliederversammlung eingeladen. Weil sie möchte, dass der Kreisverband im nächsten Monat an der Demo gegen die Abschiebung von Geflüchteten teilnimmt, stellt sie folgenden Antrag an die Mitgliederversammlung:


Die Mitgliederversammlung möge beschließen:

„Die Gruppen des Kreisverbands nehmen an der Demo gegen die Abschiebung von Geflüchteten im nächsten Monat teil. Es wird ein Transparent mit dem Slogan ‚Weg mit allen Grenzen! Die Falken Petradorf‘ gemalt und mitgeführt.“

Paula begründet mündlich, warum sie denkt, dass der Kreisverband an der Demo teilnehmen sollte. Sie hätte den Antrag natürlich auch vorher schriftlich begründen können, z.B. wenn sie gewollt hätte, dass die Genossinnen und Genossen mehr Zeit haben über die Begründung nachzudenken oder weil sie glaubt, dass sie in Ruhe zuhause besser aufschreiben kann, warum der Kreisverband an der Demo teilnehmen sollte, als in der Aufregung der Mitgliederversammlung. Weil sie zuhause aber nicht mehr so viel Zeit hatte und sich traut, begründet sie ihren Antrag mündlich. Die Genoss*innen des Kreisverbands finden den Antrag gut, allerdings möchte Petra, dass das Transparent noch um den Satz „unsere Solidarität ist antinational“ ergänzt wird. Außerdem findet sie, dass man den Passant*innen auch erklären sollte, warum man demonstriert. Dafür soll der Kreisverband ein Flugblatt schreiben, kopieren und verteilen.

Deswegen formuliert Petra einen Änderungsantrag:

Die Mitgliederversammlung möge beschließen:

Zeile 3 einfügen nach „Grenzen!“: „Unsere Solidarität ist antinational“

Zeile 3 einfügen nach „mitgeführt.“: „Es gründet sich eine Arbeitsgruppe, die ein Flugblatt schreibt, dass die Umstehenden auf der Demo über die Situation von Geflüchteten informiert und unsere Forderungen erklärt. Das Flugblatt wird im Büro kopiert und während der Demo verteilt.“

Zuerst wird über Petras Änderungsantrag abgestimmt, wenn die meisten dafür sind, wird der Ursprungsantrag von Paula geändert. Weil Paula Petras Ergänzungen aber gut findet, übernimmt sie sie einfach in ihren eigenen Antrag. Es muss deswegen nun über den geänderten Gesamtantrag abgestimmt werden. Den finden alle prima und er wird einstimmig angenommen. Nach der Mitgliederversammlung wird gefragt, wer Lust hat in der Arbeitsgruppe mit am Flugblatt zu schreiben. Es melden sich einige Genoss*innen, auch Petra und Paula sind dabei. Es wird außerdem gefragt, wer Lust hat das Transparent zu malen. Auch hierfür finden sich ein paar Genoss*innen. Als im nächsten Monat die Demonstration stattfindet, kommen alle Gruppen des Kreisverbandes. An der Seite des Falken-Blocks wird gut sichtbar das Transparent getragen und viele Genoss*innen verteilen am Rand der Demo das Flugblatt der Arbeitsgruppe an die Passant*innen.

In unserem Beispiel stellt Paula einen Antrag an die Mitgliederversammlung ihres Kreisverbands, aber sie hätte genauso gut von ihrem Kreisverband zur Landeskonferenz delegiert werden können und von dort sogar zur Bundeskonferenz. Dann hätten sie und ihre Genoss*innen sich vielleicht überlegt, was der Bundesverband machen kann, um Geflüchtete zu unterstützen oder hätten beschlossen einen Antrag zu einem anderen ihrer Anliegen auf der Bundeskonferenz einzubringen, in der Hoffnung, dass viele andere ihr Anliegen teilen oder von ihm überzeugt werden können.

Warum hat Paula überhaupt einen Antrag gestellt? Immerhin hat sie das eine halbe Stunde am Schreibtisch gekostet, die sie lieber anders verbracht hätte und sie musste sich auch noch überlegen, wie sie ihren Antrag begründen möchte. Wenn wir auf dem Amt einen Personalausweis beantragen, ist klar was wir wollen: nämlich, dass das zuständige Amt einem einen Ausweis für uns ausstellt. An unserem Beispiel sehen wir, dass auch Paula etwas mit ihrem Antrag erreichen wollte. Sie fand richtig, dass der Kreisverband sich an der Demo beteiligt. Zunächst einmal ist das aber bloß ihr Wunsch. Sie kann für die Anderen nicht entscheiden, was diese machen sollen. Aber die anderen sind, wie sie selbst, Mitglied bei den Falken. Offenbar haben sie etwas gemeinsam und wollen sich auch gemeinsam darüber verständigen, was sie tun. Deswegen treffen sie sich, um gemeinsam ihre Arbeit, ihre Positionen und Aktivitäten zu beraten. Die Gremien unseres Verbandes sind der Ort, an dem wir diskutieren können, was erst mal nur unser Wunsch ist, aber zum Tun unseres Verbandes und damit zu einem gemeinsamen Tun von Vielen wird. Der Antrag, seine Diskussion und sein Beschluss oder seine Ablehnung sind die Art und Weise, wie sich der Wunsch eines Mitglieds in die gemeinsame Handlung des Verbandes umsetzt.

Doch gemeinsames Handeln des Verbandes kann vieles bedeuten. Auf Ebene des Kreisverbands ist die gemeinsame Aktion der Gruppen einfach zu organisieren. Auf der Ebene des Landesverbandes oder gar des Bundesverbandes jedoch viel schwieriger. Es können sich gar nicht alle Mitglieder ohne weiteres gemeinsam treffen. Es wäre schon schwierig einen Raum zu finden und die Fahrtkosten zu finanzieren, aber es ist fast unmöglich, dass Tausende gemeinsam diskutieren. Deswegen treffen sich, z.B. zu Bundeskonferenzen 140 Delegierte des gesamten Verbandes. Und weil sie vor Ort aktiv sind, können sie den Bundesverband, als sol-chen, auch nicht einfach mit Leben füllen. Sie müssen vielmehr einen Vorstand wählen, der für den Verband handelt, der Veranstaltungen plant und organisiert, sich für den Verband öffentlich gegenüber anderen oder der Öffentlichkeit äußert usw. Dieser Vorstand wird von den Delegierten der Bundeskonferenz gewählt – die wiederum von den Gliederungen delegiert wurden, also in ihrem Auftrag zur Bundeskonferenz fahren – sie sprechen seinen Mitgliedern einerseits ein bestimmtes Vertrauen aus: sie wählen sie als Personen.

Sie denken, dass diese gut im Interesse des Verbandes handeln können, auch wenn sie natürlich nicht „der“ Verband sind, sondern selbst bloß Mitglieder mit eigenen Wünschen und Vorstellungen bezüglich des Verbandes. Andererseits aber vertrauen sie nicht nur darauf, dass die Genoss*innen im Vorstand es schon machen werden. Ihre eigenen Wünsche und Vorstellungen vergessen die Delegierten ja nicht, nur weil sie denken, dass der Vorstand den Verband gut vertreten kann. Aber unmöglich kann er alle Wünsche der Mitglieder kennen, noch können ein paar so viele Ideen haben und Themen überblicken, wie die 140 Delegierten. Deswegen reicht es nicht einen Vorstand zu wählen. Der Verband muss sich auch Gedanken machen, in welchem Rahmen der Vorstand ihn vertreten soll. „Der“ Verband kann dabei wieder nur heißen: alle müssen ihre Wünsche und Vorstellungen bezüglich des Tuns und Lassens des Verbandes äußern. Sie müssen sie begründen, zur Diskussion stellen und hoffen, dass möglichst viele Genoss*innen dieselben Wünsche und Vorstellungen haben – oder dass sie sie mit ihrer Begründung davon überzeugen können, warum ihre Wünsche und Vorstellungen richtig für den gesamten Verband sind.

So steckt die Bundeskonferenz den Rahmen ab, in dem der Vorstand aktiv wird und geben ihm entweder Themen zur Auseinandersetzung, eine Richtung für sein Handeln oder konkrete Aufgaben vor. Wo nur ein Rahmen vorgegeben wird, kann der Vorstand sich selbst überlegen, wie er diesen ausfüllt. Dies macht z.B. Sinn, wenn die Konferenz möchte, dass der Bundesvorstand eine Veranstaltung organisiert. Sie beschließt die Veranstaltung und ihr Thema, aber meist nicht das konkrete Datum, die genaue Ausgestaltung der Veranstaltung usw. Die Konferenz kann aber auch nur fordern, dass der Vorstand sich mit einem Thema auseinandersetzt und sich positioniert. Dann kann sie zwar das Thema genauer bestimmen, aber nicht, was die einzelnen Mitglieder des Vorstandes denken – denn das kann niemand festlegen. Die Positionierung des Bundesvorstandes kann die Konferenz sich natürlich hinterher wieder vorlegen lassen und billigen, ändern oder ablehnen. Die Konferenz kann aber auch selbst Positionierungen beschließen, dann kann sie die Mitglieder des Bundesvorstandes zwar nicht zwingen, diese zu teilen, aber sie kann sie darauf verpflichten, diese in Ihrer Funktion als Bundesvorstandsmitglieder nach außen zu vertreten.

Im Kreisverband ist es einfach. Paula wollte, dass alle gemeinsam, inklusive ihr selbst, etwas tun. Sie kennt ihre Genoss*innen und hat schon vorher geahnt, dass die anderen es auch richtig finden, zu der Demo zu gehen. Denn sie haben erst letztens eine Genossin eingeladen, die einen Vortrag gehalten hat, in dem es um die schlechten Lebensbedingungen von Geflüchteten in den Sammelunterkünften in Deutschland ging und um die gefährlichen Wege auf denen sie versuchen hierher zu gelangen. Außerdem hat sie schon auf der letzten Demo einige Genoss*innen getroffen. Die anderen fanden ihren Antrag so gut, dass sie sie und Petra zur Landeskonferenz delegiert haben. Dort wurde u.a. die Delegation für die Bundeskonferenz gewählt, denn der Bundesvorstand hatte gerade zu dieser eingeladen. Auch Petra wurde für den Landesverband delegiert und in etwas weniger als drei Monaten geht es nach Rosa-Luxemburg-Stadt. Weil die Landeskonferenz keine Zeit hatte noch über Anträge zur Bundeskonferenz zu beraten, wurde beschlossen ein Treffen aller Interessierten abzuhalten und die Anträge über den Landesvorstand einzureichen. Auch Petra geht zu dem Treffen, denn einerseits ist sie neugierig, was die anderen sich für und vom Bundesverband wünschen, anderseits möchte sie aber auch selbst etwas. Immer wieder liest sie in der Verbandszeitung für Jugendliche, der „Die andere Jugendzeitschrift“, und möchte, dass eine Nummer zum Thema Flucht und die Europäischen Außengrenzen erscheint. In der Diskussion über die Anträge kommt außerdem die Idee auf, dass der Vorstand des Verbandes sich einmal grundsätzlich mit dem Thema auseinandersetzen und sich positionieren könnte und ein Seminar zum Thema anbieten könnte. Denn zwischen Petra und Karl kam auf dem Treffen die Diskussion auf, ob die europäischen Außengrenzen ihre Ursache in den Staaten und seiner territorialen Begrenzung haben oder im Rassismus ihrer Regierenden. Und so heißt es in einem Antrag des Landesverbandes:


Die Bundeskonferenz möge beschließen:

„ Der Bundesvorstand setzt sich im kommenden Jahren mit dem Thema Flucht und Europäische Außengrenzen auseinander. Dabei diskutiert er insbesondere die Frage nach dem Verhältnis von Kapital und Flucht und Staat und der Situation an den Außengrenzen Europas. Im kommenden Jahr bietet der Bundes SJ-Ring ein Seminar zum Thema an. Außerdem erscheint eine Ausgabe der „Die Andere Jugendzeitschrift“ mit dem Schwerpunkt „Auf der Flucht nach Europa“".

Damit alle schon im Vorfeld den Antrag gut diskutieren können und weil Karl ihn nicht vorstellen möchte, beschließen sie, den Antrag schriftlich zu begründen und dass Petra ihn einbringt. Immerhin hat sie im Kreisverband schon etwas geübt. Damit auch Karl üben kann vor der Konferenz seine Wünsche und Vorstellungen zu begründen, entschließen sich die beiden, dass Karl mit nach vorn kommen soll und Nachfragen, die sich auf das Thema Rassismus beziehen, beantwortet und vielleicht spontan noch andere, wenn er sich traut. Sonst macht Petra das. Den Antrag sendet der Vorstand an den Bundesverband. Sechs Wochen vor der Konferenz bekommen die Delegierten ihre Delegiertenunterlagen. Neben ihrem Antrag finden sie darin einen ganzen Haufen Informationen, die Anträge des Bundesvorstandes und Anträge aus vielen anderen Gliederungen. Alle treffen sich nochmal, um gemeinsam die anderen Anträge zu beraten. Einige finden sie falsch oder wollen sie ergänzen. So gibt es z.B. einen Antrag aus Karl-Liebknecht-Stadt, der eine Positionierung des Bundesverbandes zu den Streiks der letzten Wochen fordert und den Petra, Karl und die andere Delegierten nicht entschieden genug finden, außerdem finden sie, dass wer von Solidarität spricht, auch überlegen sollte, wie diese praktisch organisiert werden kann – sie stellen deswegen einen Änderungsantrag.

Auf der Bundeskonferenz wird der Antrag ihres Landesverbandes tatsächlich ohne Änderungen beschlossen, auch wenn Petra in der Diskussion noch einige Genoss*innen von der Wichtigkeit des Themas überzeugen musste und auch Karl hat seine Aufgabe gut erfüllt. Im kommenden Jahr setzt sich der Bundesvorstand deswegen wirklich mit dem Thema auseinander. Als es an die Organisation des Seminars geht, fragt der Buvo im Landesverband von Petra und Karl an, ob diese Ideen dafür haben und Petra schlägt vor die Genossin einzuladen, die schon in ihrem Kreisverband einen Vortrag zum Thema gehalten hat. In der Themenausgabe der „die Andere Jugendzeitschrift“ schreiben beide einen Artikel zum Thema.

Unser Verband soll sich positionieren, er soll Dinge organisieren, etwas tun usw. Der Verband besteht aber auch azahlreichen Gliederungen und tausenden Einzelnen. Positionen müssen Einzelne ausarbeiten, etwas zu organisieren ist die Arbeit von Einzelnen, bei Aktionen mögen zahlreiche Genoss*innen zusammen kommen, aber auch sie sind alle Einzelne. Anträge helfen uns Vorstellungen und Wünsche bezüglich unseres Verbandes zur Diskussion zu stellen und zu beschließen. Diese Beschlüsse verpflichten einerseits unsere gewählten Vertreter*innen, die Anträge auch in die Realität umzusetzen. Andererseits geben sie, wenn sie beschlossen werden, den Vorstellungen und Wünschen von Einzelnen eine Form, in der sie – zumindest theoretisch - Vorstellung und Wunsch von vielen sind. Wenn diese Vielen tatsächlich hinter dem stehen, was sie gemeinsam beschlossen haben, dann können sie auch gemeinsam handeln und dann kommt ihrem gemeinsamen Wollen eine Kraft zu, die die Wünsche der Einzelnen nicht haben: zusammen können wir mit unserem Verband einen Unterschied machen. Dabei sind die Einzelnen aber nicht egal, im Gegenteil – ohne sie gibt es dieses gemeinsame Wollen und diesen Unterschied nicht: irgendwoher müssen die Ideen, die Wünsche und Hoffnungen, das was zum Wollen und Tun des Verbandes wird, ja kommen und irgendwer muss ja der*diejenige sein, die mit anderen zusammen einen Unterschied in der Welt macht.